Dirk Heißerer

Die Poschi.

Das Thomas-Mann-Haus 1913-1952

In schönster Lage, direkt an der Isar, im standesgemäßen Neubauviertel „Herzogpark“ ließen Katia und Thomas Mann sich im Herbst 1913 von den Münchener Architekten Brüder Ludwig ihr Wohnhaus errichten, das sie im Januar 1914 bezogen und Anfang Februar 1933 unvermutet für immer verließen. Das Haus auf dem stattlichen, knapp 1.520 qm großen Grundstück an der Ecke der damaligen Föhringer Allee (seit 1955: Thomas-Mann-Allee) und der Poschingerstraße hatte eine Grundfläche von knapp 230 qm mit einem Kellergeschoss, einem Erdgeschoss im Hochparterre, einem Ober- und einem Dachgeschoss. Anfang Januar fand der Umzug mit den vier Kindern Erika (8), Klaus (7), Golo (4) und Monika (3) aus der Doppelwohnung in der nahen Mauerkircherstraße 13/II statt. Platz gab es in der „Poschi“, wie die Kinder das Haus bald nannten, auf jeden Fall genug.

Führung durch das alte Haus

Ein gutes Raumgefühl der einstigen „Poschi“ gibt die Filmvilla auf dem Gelände der Bavaria in Geiselgasteig, erbaut im Frühjahr 2000 für den Dreiteiler Die Manns. Ein Jahrhundertroman (2001). Der alte Grundriss bestimmt die Kulisse noch immer. Durch die Gartentür in einer Steinmauer an der Föhringer Allee gelangte man über einen kurzen Kiesweg zur Nordseite des Hauses und über halbrunde Treppenstufen hinauf zur Haustür zwischen zwei Säulen und einem schmalen Dach. Innen führten gleich links noch ein paar Stufen höher auf die 18 qm große Diele. Ein gemauerter Kamin, ein Tisch mit Büchern und ein Grammophon machten aus der Diele ein großes Wohnzimmer, das mit wenigen Handgriffen in einen Tanzboden zu verwandeln war. Auf dem Absatz der Treppe in den ersten Stock stand der berühmte kleine ausgestopfte sibirische Braunbär mit einer ‚silbernen’ ägyptischen Visitenkartenschale aus Messing.

Direkt an der Diele lag das „Zimmer des Herrn“, wie es im Grundriss heißt, das Arbeitszimmer Thomas Manns mit einem halbrunden Erker. Hier öffnete sich eine Flügeltür nach Süden auf eine kleine ebenfalls halbrunde Terrasse, von der es einige Stufen wieder hinunter in den Garten ging. Blickfang war dort die Figur eines kleinen Hermes (1920) des Bildhauers Hans Schwegerle.

Im Arbeitszimmer entstanden neben zahllosen, der Forderung des Tages (1930) geschuldeten Arbeiten und Briefen in den 20 Arbeitsjahren bis 1933 vor allem die Romane Der Zauberberg (1924), Die Geschichten Jaakobs (1933) und Der junge Joseph (1933) dazu die wichtigen Betrachtungen eines Unpolitischen (1918) und zahlreiche Essays, wie die über Sigmund Freund (1929) und Richard Wagner (1933). Vom Arbeitszimmer wiederum konnte Thomas Mann gleich nach links ins Esszimmer gehen, wo er an der Tafel den Vorsitz hatte oder zum Kaffeetrinken auf die überdachte Terrasse an der Ostseite gelangen; unter dieser Terrasse fanden übrigens in einer großen Garage zwei Automobile Platz. Seltener waren seine Wege von der Diele über eine Treppe hinunter in den Keller, wo sich die Küche mit der Speisekammer, die Waschküche und zwei Kammern für Hausmädchen und Diener, später für Hausmeister befanden. Ein kleiner Aufzug erleichterte den Transport der Speisen aus der Küche direkt in das Esszimmer.   

Die entscheidenden Vorraussetzungen für sein regelmäßiges Arbeiten hatte Thomas Mann seiner Frau Katia zu verdanken. Sie hielt dem empfindlichen Dichter die lärmenden Kinder vom Hals und bat Gäste oder Besucher zunächst einmal in das rechts neben dem Arbeitszimmer gelegene „Zimmer der Dame“ mit einem Ecksofa, dem so genannten „Plauderwinkel“. Noch wichtiger war im ersten Stock, direkt über dem Arbeitszimmer Thomas Manns, Katia Mann Schlafzimmer; hier stand die Schreibmaschine, auf der die Dame des Hauses die Manuskripte ihres Gatten abtippte. Rechts nebenan, im eigenen Schlafzimmer, pflegte der Herr der Ruhe (die nur einmal, an einem Herbsttag 1929, von den beiden Jüngsten, Elisabeth und Michael, gestört werden durfte, als sie ihm die Nachricht vom Nobelpreis überbrachten). Papa gegenüber lagen das Kinderschlafzimmer für die Jüngsten sowie für ihre Schwester Monika und dazwischen das Zimmer für eine Gouvernante, die wiederum direkt auf das Dach der Terrasse hinaustreten konnte.

Im Dachgeschoss hatten die drei großen Kinder ihr Reich, in der Mitte, also direkt über Vater und Mutter, Sohn Klaus, der einen halbrunden Balkon mit Balustradengeländer nutzen konnte; rechts daneben Erika, und links von Klaus wohnte Golo, der aber jedes Mal erst bei Klaus durchgehen musste, wenn er in sein Zimmer wollte.

Literarische Einblicke

Drei Texte Thomas Manns verschaffen einen dauerhaften Einblick in das Haus. Da ist zum einen sein Gesang vom Kindchen (1919). Von der Geburt im April bis zur Taufe seiner geliebten Tochter Elisabeth im Oktober 1918 feiert Thomas Mann hier die eigene Vaterschaft als neue Lebens- und Liebeserfahrung. Das andere ist das „Idyll“ Herr und Hund (1919), die Schilderungen der mittlerweile legendären Spaziergänge Thomas Manns mit seinem Hund Bauschan durch die Landschaft an der Isar in den letzten Jahren des Krieges. Diese beiden Texte gehören zusammen, einmal als Außenaufnahmen mit dem Hund und als Innenaufnahmen mit dem Kindchen. Besonders anschaulich ist jedoch die Erzählung Unordnung und frühes Leid (1925), anlässlich eines Tanzvergnügens der großen Kinder mit ihren Freunden auf der Diele des Hauses im Inflationswinter 1923. Wie in einer Puppenstube läuft das Familienleben der Manns kaum maskiert oder verhüllt vor den Leseraugen ab; das Liebesleid des kleinen Lorchens (alias Elisabeth), das sich in einen Kavalier der Großen verliebt, war echt und wurde noch fast 80 Jahre später von Elisabeth Mann Borgese lachend bestätigt.

Enteignung

Entgegen der von Thomas Manns Sohn Golo mutwillig in die Welt gesetzten Behauptung, sein Vater sei ein „unwissender Magier“ und politisch nicht ernst zu nehmen gewesen, hat Thomas Mann sich bereits 1921 entschieden zur neuen Republik bekannt und zugleich die fatalen Entwicklungen in Deutschland erkannt und unablässig davor gewarnt. Vom Vorwurf Münchens als der „Stadt Hitlers“ (1923) über den Kampf um München als Kulturzentrum (1926) zum Appell an die Vernunft (1930) und dem flammenden Aufruf an die Reichsregierung im August 1932, gegen die „Volkskrankheit“ Nationalsozialismus einzuschreiten, reicht die Spanne der Stellungnahmen.

Anders als der eigene Sohn verstanden die politischen Gegner diese Analysen viel besser und schritten entsprechend bald nach der Machtübernahme Ende Januar 1933 gegen Thomas Mann ein. Gegen den „Gegner der nationalen Bewegung und Anhänger der marxistischen Idee“ wurde bereits im Frühjahr 1933 ein so genannter „Schutzhaftbefehl“ erlassen, der nur wegen Abwesenheit nicht vollzogen wurde; eine am 11 Februar 1933 begonnene Vortragsreise zu Ehren Richard Wagners nach Brüssel, Amsterdam und Paris rettete Thomas Mann damals buchstäblich das Leben. Der am 3. April abgelaufene Reisepass durfte auf keinem ausländischen Konsulat mehr verlängert werden. Im Gegenteil, durch den „Schutzhaftbefehl“ waren Hab und Gut des Nobelpreisträgers in München sofort zu beschlagnahmen. Die räuberische Willkürjustiz der Nazis unterstrich noch der tendenziöse „Protest der Richard-Wagner-Stadt München“ von 40 mehr oder minder berühmten Politikern, Künstlern, Musikern und Wissenschaftlern gegen Thomas Manns Wagner-Vortrag in der Osterausgabe der Münchener Neuesten Nachrichten.

Thomas Mann wurde politisch, kulturell und räuberisch aus Bayern ausgebürgert. Die gerade mal 20 Jahre alte „Poschi“ erlebte in den nächsten Wochen merkwürdige Kämpfe von Freunden und Helfern der Familie gegen die Bayerische Politische Polizei und ihre Spitzel. Bücher wurden konfisziert, drei Autos mutwillig „’sicher gestellt’“. Die Nürnberger Buchhändlerin Ida Herz, die Archivarin Thomas Manns, zeigte Löwenmut und schaffte einen großen Teil der Bibliothek Thomas Manns, Silber, Porzellan und Schallplatten bis in den August hinein über Deckadressen an den Eigentümer im Schweizer Exil. Erika Mann steig wie eine Diebin in das Haus ein und brachte das wertvolle Joseph-Manuskript in Sicherheit. Die von Golo leichtsinnig dem Chauffeur der Familie, einem verkappten Nazi-Spitzel, für den Bahntransport anvertrauten Tagebücher des Vaters fielen zum Glück nur solchen Beamten in die Hände, die Thomas Manns rätselhafte Handschrift nicht entziffern konnten und den Koffer zur großen Erleichterung seines Besitzers freigaben.

„Nackter Raub“

Zwei Monate konnte das Haus auf Vermittlung der Schwiegermutter Thomas Manns, Hedwig Pringsheim, an eine Amerikanerin namens Henriette Taylor und ihre vier Töchter vermietet werden; doch der anhaltende Streit der Taylors über das allmähliche Verschwinden des Hausrats hob die erwartete „gewisse Sicherung“ des Hauses bald wieder auf. Nach kurzzeitiger Freigabe beschlagnahmte die Bayerische Politische Polizei am 18. Januar 1934 Thomas Manns Haus erneut und vermietete die „Poschi“ noch im selben Monat an eine neunköpfige Familie Defregger. Thomas Mann kommentierte diese Aktion am 22. Januar 1934 im Tagebuch mit ohnmächtiger Wut: „Es ist völlige Willkür und nackter Raub und zwar im Stillen, ohne daß die Banditen auch nur den Mut zur öffentlichen Mitteilung ihres ‚revolutionären’ Tuns fänden.“

Der Münchener Rechtsanwalt Valentin Heins konnte für seinen berühmten Klienten im Schweizer Exil nicht mehr viel machen. Der Ausbürgerung im Dezember 1936 folgte die endgültige Enteignung Thomas Manns, die, wie das Münchener Landgericht 1953 feststellte, „schwere Entziehung“ seines Wohnhauses, als behördlicher Handstreich. Im Grundbuch wurde Mitte September 1937 kurzerhand auf einem neuen Blatt das Deutsche Reich als Eigentümer des Hauses eingetragen, einen Monat später das Land Bayern. Kurz darauf konnte Anfang Oktober 1937 die Versteigerung des noch immer ansehnlichen Inventars der Villa an der Poschingerstraße 1 in den Münchner Neuesten Nachrichten bekannt gegeben werden. Bald darauf zog am 1. Dezember 1937 die von Heinrich Himmler gegründete Rasseorganisation „Lebensborn“ in das Haus ein und blieb hier bis zum 31. Dezember 1939.

Danach wurde die „Poschi“ in ein Drei-Familien-Haus umgewandelt und an drei hohe Staatsbeamte mit ihren Familien vermietet. Ein „schwerer Fliegerschaden“ nach einem Bombenangriff auf München machte am 25. April 1944 das zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend leerstehende Haus unbewohnbar.

Die Ruine

Bereits zwei Tage nach Kriegsende, am 10. Mai 1945, fuhr Klaus Mann als amerikanischer Soldat zusammen mit dem Fotografen John Tweksbury im Jeep zur alten „Poschi“ in den Herzogpark und berichtete seinem Vater ausführlich. Der notierte im Tagebuch: „Das Haus, mehrfach gebombt, in Umrissen erhalten, im Innern, das schon vorher verändert, vollständig zerstört. - Seltsamer Eindruck. Gut, daß ein neues Haus habe unter freundlicheren Zonen.“ In dem ansonsten leeren Haus hatte sich oben, in Klaus’ ehemaligem Zimmer, als einzige Bewohnerin eine Stenotypistin eingerichtet. Das absurde Gespräch mit der jungen Frau über die Vergangenheit des Hauses, besonders über den „Lebensborn“, gibt Klaus Mann ausführlich in seinem „Lebensbericht“ Der Wendepunkt wieder. 

Im August 1945 begann bereits die Diskussion über die Rückerstattung, bei der Thomas Manns jüngster Bruder Viktor in München als Vermittler agierte. Er schrieb seinem Bruder im Januar 1946 nach Kalifornien, der Wiederaufbau des Hauses sei im Münchener Magistrat beschlossen und solle im Frühjahr 1946 beginnen. Doch nach einiger Überlegung wollte sich Thomas Mann solch einem Sachzwang als Grund für seine Rückkehr nach München nicht unterwerfen. Am 10. Dezember 1948 war Thomas Mann immerhin auch im Grundbuch wieder rechtmäßiger Besitzer des Hauses an der Poschingerstraße 1. Doch dessen Wert hatte sich inzwischen sehr reduziert; die Entschädigungssumme betrug 1957 am Ende jahrelanger Verhandlungen DM 2399 für „entgangene Mieteinnahmen“ in der Zeit zwischen dem Kriegsende und der Rückerstattung.

Praktisch gar keinen Einfluss hatte der Dichter in diesen ersten drei Nachkriegsjahren, trotz zweier Treuhänder, auf die Nutzung der Ruine. In Bogenhausen war in den ersten Jahren nach dem Krieg eine Emigrantensiedlung aus rund 20.000 Osteuropäern entstanden. Wohnraum nahm man sich, wo er sich bot. In der stark beschädigten „Poschi“ lebten bereits 1945 russische und ukrainische „Displaced Persons“, deren verschiedene, ohne jede Genehmigung und Aufsicht vorgenommenen Reparaturen, besonders des Daches, allerdings den endgültigen Zusammenbruch des Hauses verhinderten. Vier Jahre später teilten sich zwölf russische und ukrainische Familien das Haus, insgesamt 50 Personen, die Hälfte davon Kinder. Auf dem Dachboden hielt man Schweine, im Keller ein Pferd. Der russische Physikprofessor Samygin hatte seine Apparate im ehemaligen Zimmer Klaus Manns aufgestellt, wo er mit seiner Frau und zwei Kindern hauste. In den anderen Zimmern kamen weitere drei Familien mit drei Kindern unter. Im Zimmer darunter, einst Katia Manns Schlafzimmer, lebten drei Familien mit zehn Kindern, zwei Schweinen und einer Ziege. Das einstige Arbeitszimmer Thomas Manns teilten sich drei Familien zu insgesamt neun Personen, davon drei Kinder; und sogar der nasse Keller bot acht Personen, davon drei Kindern, dürftigsten Lebensraum.  

Abriss

Zu Beginn der fünfziger Jahre entschied sich Thomas Mann aus vielen Gründen, wieder zurück nach Europa zu gehen. Dabei wurde natürlich auch erwogen, ob nicht doch eine Rückkehr nach Deutschland und nach München, vielleicht sogar in den Herzogpark möglich werden könnte. Doch den Weg zurück verstellte der erbärmliche Zustand des Hauses. Das „zerstörte, entstellte Haus“ hat sich Thomas Mann bei seinem zweiten Aufenthalt in München am 31. Juli 1951 angesehen. Es ließ ihm dann keine rechte Ruhe mehr. Am 19. Dezember 1951 bat er in einem Brief an den bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Wilhelm Hoegner, ihn „in Sachen unseres Hauses und seiner Befreiung von den wilden Bewohnern“ zu unterstützen. Dem erhaltenen Antwortschreiben Hoegners ist zu entnehmen, dass die Räumung des Hauses „wegen Einsturzgefahr“ am 18. Januar durchgeführt wurde. Den anschließenden Abriss bis auf die Kellerräume sowie die Schutträumung besorgte die Stadtverwaltung München; die Angabe in einem Interview vom Herbst 1952, Thomas Mann habe das Haus für 5000 Mark selbst abreißen lassen, bezieht sich wohl auf die Rechnung der Stadt. Ein Teil des Schutts diente später als Fundament für eine Freilichtbühne im Garten der Luitpoldoberrealschule an der Ifflandstraße, die bis 1958 als „schönste Bühne Münchens“ galt.

Verkauf

Dem letzten Besuch in München im Oktober 1952 folgte bald die endgültige Trennung von Haus und Grund im Herzogpark. Am 8. Juni 1953 schlossen Thomas und Katia Mann mit dem Münchener Apotheker Dr. Otto Roeder einen Kaufvertrag über das ihnen jeweils zur Hälfte gehörende Grundstück an der Poschingerstraße 1 und das ehemalige Wohnhaus. Um ganz sicher zu gehen, brachte der Käufer bereits am 2. Juni 1953 einen Teil der vereinbarten Summe Thomas Mann persönlich ins neue Haus nach Zürich-Erlenbach: „Vor Tisch der Münchener Käufer des Grundstücks Poschingerstraße. Brachte 20 000, mit einer Nonne im Wagen. Heiterkeit.“ Auf dem Fundament des alten Hauses und einiger Kellerwände entstand 1955 ein Neubau, der nach außen hin mit seinem halbrunden Erker und einer Treppe in den Garten wie eine auf Bungalow-Format gestutzte „Poschi“ aussah. Otto Roeder sorgte zudem dafür, dass die „Föhringer Allee“, an der das neue Haus nun die Nr. 10 bekommen hatte, schon 1955, kurz nach dem Tod des Autors, in „Thomas-Mann-Allee“ umbenannt wurde, passend fortgesetzt von der „Heinrich-Mann-Allee“. Erika Mann dankte Dr. Roeder am 18. Januar 1956 für diese Initiative.

Nach dem Tod des Apothekers und seiner Frau stand das Haus lange Jahre leer, der Garten verwilderte. Das Haus sah so verwunschen aus, dass sich sogar Elisabeth Mann Borgese, das einstige „Kindchen“, als Hauptakteurin in dem Film Die Manns. Ein Jahrhundertroman (2001) zu Beginn dazu verleiten ließ, bei einem Gang um und durch das Haus die alten Zimmer und im Garten die Treppe wiederfinden zu wollen. Schon einige Jahre vorher hatte Elisabeth Mann Borgese zusammen mit zwei Freundinnen angeregt, das leerstehende Haus zu erwerben, um dort eine angemessene „Heimstätte“ für Thomas Mann und seine Familie in München einzurichten. Auch wenn sich dieser Plan vor Ort nicht verwirklichen ließ, so entstand daraus doch 1999 der Thomas-Mann-Förderkreis München e. V., der sich satzungsgemäß um „dauerhafte Erinnerungsformen“ an Thomas Mann und die Seinen kümmert und in Zusammenarbeit mit wichtigen Institutionen der Stadt schon entsprechende Zeichen gesetzt hat. Das Roeder-Haus wurde schließlich privat verkauft und bei einer spektakulären „Abrissparty“ am 27. April 2002 verabschiedet. An seiner Stelle entstand bis Ende Juni 2004 ein stattlicher Neubau, der am Stil der alten „Poschi“ orientiert ist, aber neue Akzente setzt. Die von Thomas Mann begründete Tradition im Münchener Herzogpark lebt hier somit „auf eigene Art“ weiter.

Zeittafel

1900            

5. Mai: Herzog Karl Theodor in Bayern verkauft das familieneigene Auwaldgelände unterhalb von Bogenhausen an die Terrain-Aktiengesellschaft Bogenhausen-Gern; das Neubaugebiet erhält den Namen „Herzogpark“.

1913

25. Februar: Katia und Thomas Mann erwerben das Grundstück Nr. 793 an der Ecke Föhringer Allee und Poschingerstraße zu 0,152 ha vom Gründungsmitglied und Vorsitzenden der Terraingesellschaft Ludwig Freiherrn von Gumppenberg-Pöttmes-Oberbrennberg. Die Münchener Architekten Brüder Ludwig entwerfen den Bauplan.

1914

5. Januar: Einzug der Familie in das neue Haus

1933

11. Februar (28. Hochzeitstag): Beginn der Vortragsreise zu Ehren Richard Wagners nach Amsterdam, Brüssel und Paris; Beginn des Exils.

Vermutlich Ende März: „Schutzhaftbefehl“ gegen Thomas Mann; Beschlagnahme des Vermögens, sofortiger Ausschluss (8. April) aus dem Rotary-Club, München.

1937

15. September: Deutsches Reich wird Eigentümer des Grundstücks

6./7. Oktober: „Freiwillige Versteigerung“ in der Poschingerstraße 1: „Die komplette Einrichtung einer Villa“ kommt durch Ludwig Schrettenbrunner, Schillerstraße 40, zum Aufruf.

20. Oktober: Land Bayern wird Eigentümer

1. Dezember: Vom Bayer. Staatsministerium der Finanzen übernimmt die Geheime Staatspolizei (Staatspolizeileitstelle München) das Haus und vermietet es an „Lebensborn“ e.V.

1939

31. Dezember: Ende des Mietvertrags mit „Lebensborn“ e. V.

Bis April bzw. Oktober: Umbau der drei Etagen des Hauses durch das Landbauamt zu Drei-Familien-Wohnungen und Vermietung an drei hohe Staatsbeamte mit ihren Familien sowie an ein Hausmeisterehepaar im Keller.

1944

25. April: Schwerer Sprengschaden durch Fliegerangriff; Totalschaden.

4. Oktober: Das Haus ist von den Wohnungsinhabern geräumt.

1945

Treuhänderverwaltung des Hauses durch Johann Deisenhofer, München, Ansbacherstraße 4 (10.11.1945-31.10.1948).

1948

10. Dezember: Katia und Thomas Mann im Grundbuch wieder rechtmäßige Eigentümer.

1952

Bis März: Abriss des Hauses

1953

8. Juni: Katia und Thomas Mann verkaufen das Ruinengrundstück an Dr. Otto Roeder, Apotheker in München.

1955

Errichtung eines Neubaus auf den Grundmauern des alten Hauses.

2002

27. April: Abrissparty; bis Herbst Abriss der Bungalow-Ruine.

2004

28. Juni: Richtfest des zweiten Neubaus im Stil des alten Thomas-Mann-Hauses.

2006

Mai: Einweihungsparty mit Kunstausstellung und Buchpräsentation.

Literatur

Staatsarchiv München: Bezirksfinanzdirektion 196; Landbauämter 2890.

Heißerer, Dirk: Im Zaubergarten. Thomas Mann in Bayern. München, C. H. Beck Verlag, 2005.


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